233° Celsius – eine andere Bibliothek
28. Oktober bis 21. November 2010
Wie vielseitig Sprache, Literatur und Poesie über das gesprochene und das auf Papier gedruckte Wort hinaus in Erscheinung treten, davon wolte die Ausstellung im Kunsttempel einen Eindruck vermitteln. Die Ausstellung wird mit dem Literaturbüro Nordhessen als Teil des Projekts „Das schwarze Loch – Wandlungen der Gutenberg-Galaxie“ von Friedrich Block organisiert.
Der Titel der Ausstellung spielt auf den berühmten Roman „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury an: „233° Celsius“ – bei dieser Temperatur beginnt Papier zu brennen. Die Ausstellung fragt also danach, was „eine andere Bibliothek“ über die brennbaren Bücher hinaus versammeln könnte.
Da wären etwa Hörspiele von Otto Heinrich Kühner und Stephan Krass, ein Hörbuch von Peter Rühmkorf und ein ganzes Archiv der Lyrikstimmen aus 100 Jahren. Gezeigt wird ein Programm von 13 kurzen Poesiefilmen aus aller Welt, das für die Ausstellung in Kooperation mit dem Berliner ZEBRA Poetryfilm-Festival zusammengestellt wurde (>>> zum Filmprogramm). Zu sehen sind Neontexte oder gedruckte Filmrequisiten. Auch kann man ausprobieren, wie sich Sprache mit Computertechnologie verbindet, zum Beispiel anhand eines analog-digitalen Künstlerbuchs von Amaranth Borsuk und Brad Bouse, mit dem sich virtuelle Textwelten steuern lassen, oder mit einem Computerprogramm von Jean-Pierre Balpe, das selbstständig und mehrsprachig Texte erstellt. Und doch spielt das Buch in dieser Schau eine wichtige Rolle: Erstmals werden die 400 Bände der umfassendsten Schüttelreim-Sammlung Manfred Hanke öffentlich präsentiert. Dieses einzigartige Konvolut wurde jüngst der Stiftung Brückner-Kühner aus dem Nachlass des Reimforschers überlassen.
Die Ausstellung wurde von einem Veranstaltungsprogramm begleitet: So sprach zur Friedrich Block zur Eröffnung mit der Medienpoetin Amaranth Borsuk (Cambridge, USA), dem Dichter Stephan Krass (Karlsruhe) und dem Buchbinder Markus Rottmann (Berlin) über die Schwelle zwischen Buchseite und Bildschirm, brennende Bibliotheken und Goebbels‘ Visitenkarte als Filmrequisit.
Darüber hinaus fand am Samstag, 13. November, 20 Uhr eine Veranstaltung der internationalen Sprachkunstreihe „3durch3“ statt: Zu Gast sind Jean-Pierre Balpe, Erin Gee und Gerhard Falkner.
Balpe, der französische Pionier der Computerpoesie führte in der Ausstellung seinen Textgenerator „Babel Poesie“ vor. Die amerikanische Komponistin und Stimmkünstlerin Erin Gee, trat mit ihren „Solo-Mouthpieces“ auf und der deutsche Dichter Gerhard Falkner liest seine Gedichte, davon eines, zu dem ein Film des amerikanischen Künstlers Reynold Reynolds zu sehen sein wird.
Die Ausstellung schloss am 21. November: Friedrich Block und Klaus Ostermann lasen komische Schüttelreime aus der Sammlung Manfred Hanke.
Brennende Bücher: Die Bibliothek von Alexandria, Bücherverbrennung auf dem Kasseler Friedrichsplatz im Mai 1933, die brennende Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar.
„Between Page and Screen“: Ein navigierbares, analog-digitales Künstlerbuch von Amaranth Borsuk und Brad Bouse.
Das Filmprogramm im Rahmen der Ausstellung
Die Filme liefen kurz zuvor auf dem 5. Zebra Poetry Film Festival Berlin.
1. Der Conny ihr Ponny
Regie: Robert Pohle, Martin Hentze
Gedicht gleichen Titels von Gabriel Vetter
Deutschland 2008
0:05:00
Bester Poesiefilm Zebra 2010
Conny bekommt ihr Pony nicht in den Bus. Ihre Suche nach Schuldigen führt sie über zahlreiche skurrile Szenarien bis hin zum Untergang der Schweiz.
2. Bitterschön
Regie: Johannes Vogt
Gedicht: „Schneebild“ von Ernst Jandl
Deutschland 2008
0:01:57
Ein visueller Kommentar zum Spiel mit Wort und Bedeutung. Das Eingreifen einer „realen“ Hand in die typografische Welt.
3.Höpöhöpö Böks
Regie Eiríkur Örn Norðdahl
Gedicht gleichen Titels des Regisseurs
Island 2008
0:04:17
Lobende Erwähnung Zebra 2010
Während die Kurzgeschichte von Bök und seinen Kindern erzählt wird, werden im Gedicht die Eigenschaften des Buchstabens „Ö“ spielerisch untersucht.
4. Viva Zombatista. De døde står opp for å fortære de levende
Regie: Kristian Pedersen
Gedicht gleichen Titels des Regisseurs
Norwegen 2009
0:02:05
Pilotfilm einer animierten Serie über eine monströse Minderheit und ihren Kampf ums Überleben.
5. Missed Aches
Regie: Joanna Priestley
Gedicht: „The the Impotence of Proofreading“ von Taylor Mali
USA 2009
0:04:00
Ein witziger Kommentar über Ignoranz, Idiotie und unser übertriebenes Vertrauen in die Rechtschreibprüfung.
6. just midnight
Regie: Susanne Wiegner
Gedicht gleichen Titels von Robert Lax
Deutschland 2010
0:03:37
Die Buchstaben werden von der Kamera durchschritten und umrundet, bevor sie wieder in einem Blatt Papier verschwinden. Allmählich entsteht ein dreidimensionales Wortgebilde.
7. The Polish Language
Regie: Alice Lyons
Gedicht gleichen Titels der Regisseurin
United Kingdom 2009
0:08:08
Wie schmeckt eine Sprache? Was ist ihre Form und Farbe? Eine spielerisch feierliche Reise in die Sinnlichkeit und subversive Kraft der Sprache.
8. OS DESAPARECIDOS
Regie: Antonio Claudio Carvalho
Gedicht gleichen Titels des Regisseurs
United Kingdom / Brasilien 2007
0:02:45
Eine Hommage an die „Desaparecidos“, die während der Diktatur in Brasilien durch Folter und Mord verschwunden sind.
9. Mensaje A La Humanidad
Regie: Ernesto Livon-Grosman
Gedicht gleichen Titels von Roberto Cignoni
Argentinien 2009
0:04:50
Eine abstrakte Poesie-Performance wird mit Filmmaterial erweitert.
10. Injecties
Regie: Paul Bogaert
Gedicht gleichen Titels des Regisseurs
Belgien 2010
0:04:14
Ein modernes Gebäude. Jeder ist vor Ort. Man wartet darauf, dass ein Experiment beginnt.
11. Tongue of the Hidden
Regie: David Alexander Anderson
Gedicht: „Pfau und Fisch“ von Hafis
United Kingdom / Iran 2008
0:05:00
Hafis beschreibt mit der Sprache der Liebe und Metaphern seinen Rausch mit den Mysterien des Universums.
12. Letzter Tag der Republik
Regie: Reynold Reynolds
Gedicht gleichen Titels von Gerhard Falkner
Deutschland 2009
0:08:00
2008 verschwand der Palast der Republik aus dem Berliner Stadtbild. Doch kann der Abriss eines historischen Gebäudes das kulturelle Gedächtnis auslöschen?
13. Anna Blume
Regie: Vessela Dantcheva
Gedicht „An Anna Blume“ von Kurt Schwitters
Deutschland, Bulgarien 2010
0:09:00
Ritter-Sport-Preis Zebra 2010
Über die Begierde eines Mannes, der einer Frau nachläuft. Begierde und verschleierte Liebe bringen die beiden an einen Punkt, wo Liebe nur noch ein einsamer und seltsamer Ort ist.
Beteiligte Künstler/innen: David Alexander Anderson, Jean-Pierre Balpe, Paul Bogaert, Brad Bouse, Amaranth Borsuk, Antonio Claudio Carvalho, Vassela Dantcheva, Charlotte Drews-Bernstein, Manfred Hanke, Martin Hentze, der Hörverlag, Stephan Krass, Otto Heinrich Kühner, Ernesto Livon-Grosman, Alice Lyons, Eiríkur Örn Norðdahl, Kristian Pedersen, Robert Pohle, Joanna Priestly, Reynold Reynolds, Markus Rottmann, Peter Rühmkorf, Johannes Vogt, Susanne Wiegner
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